Nachdem uns die direkte Rückreise von Sucre nach Cochabamba abgeschreckt hat, war unser nächster Reiseabschnitt schnell und spontan entschlossen - Potosí. Potosí liegt 3 h Busfahrt (60 km Luftlinie) von Sucre entfernt. Diesmal waren wir am Nachmittag unterwegs und konnten die beeindruckende Landschaft genießen. Jetzt weiß ich endlich wie das Altiplano (Hochebene) wirklich aussieht - zum Teil kilometerweite Ebenen wie im Marchfeld nur auf mehr als 3.500 m Seehöhe.
Die Anden in ihrer vollen Pracht
Beeindruckend riesig: Hochland im Altiplano auf über 3.500m Seehöhe
Warten auf den Bus, irgendwo im Nirgendwo
Wir wollten euch den Anblick von der wundervollen Landschaft nicht entgehen lassen, darum haben hier ein kleines Video von der Fahrt für euch. Bitte um Entschuldigung, dass es relativ verwackelt ist, das Fahrwerk des Busses war definitiv aus dem vorigen Jahrtausend und der Fahrer hatte es eilig mit uns. ;)
Potosí liegt am Cerro Rico und war aufgrund des Silbervorkommens im 17. Jahrhundert eine der größten und reichsten Städte der Welt. Die Stadt ist geprägt von schönen Kolonialbauten aus der Zeit des Spanischen Reichs. Derzeit leben ca. 145.000 Einwohner in Potosí, ca. 15.000 Menschen davon arbeiten noch immer im Berg. Die Arbeitsbedingungen sind extrem schlecht und kaum zu glauben, kann man aber bei einer geführten Tour durch die Minen mit den eigenen Augen sehen.
Blick auf den cerro rico von der Dachterrasse unseres Hostels
Unser sehr gemütliches Hostel
Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Also ab in eines der vielen Agenturen und eine vierstündige Tour durch die Minen mit allem drum herum gebucht. Wir mussten sogar unterschreiben, dass wir einwilligen dass der Veranstalter keine Verantwortung für "Verletzungen jeglicher Art sowie für den Tod des Teilnehmers" übernehmen kann.
Danach sind wir durchs wunderschöne nächtliche Potosí spaziert und haben uns ein nettes Restaurant als Stärkung vor dem großen Tag gesucht. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein totes Lama gegessen und ich kanns nur empfehlen, sehr gut!
Potosí bei Nacht mit dem obligatorischem Plaza als Stadtzentrum
Pup auf 4.600m Seehöhe
Nächtlicher Blick auf den Cerro Rico von unserer Dachterasse
Am nächsten Tag um 08:45 Uhr wurden wir abgeholt (trotz bolivianischer Zeitrechnung sind wir um 08:50 Uhr im Bus gesessen). Gemeinsam mit uns haben an diesem Vormittag 15 andere Touristen die Tour gemacht, von Austria über Australien, USA, Dänemark, Wales und natürlich Deutschland war alles dabei.
Erster Programmpunkt: Einkleiden. Jeder von uns hat Hose, Jacke, Helm mit Lampe und Batteriegürtel und Gummistiefel bekommen. Unglaublich aber war: Sie hatten Schuhgröße 50. Ein bissl zu groß aber immerhin, besser als zu klein. Die nächst Kleineren waren 44.
In voller Montur bereit für den Berg
So komplett ausgerüstet gings weiter zum mercado minero (Bergarbeitermarkt) zum Einkaufen. Dazu müssen wir kurz etwas erklären. Der Cerro Rico (reicher Berg) um den sich in Potosí alles dreht, gehört, soweit ich das verstanden habe, den mineros (Bergarbeitern).
Es gibt vom Staat ziemlich wenig Förderungen, Pensionen, Mindestlöhne, Krankenversicherung oder sonst etwas. Das bedeutet die mineros müssen sich sämtliche Arbeitsmittel wie Werkzeug, Erzwaagen, Gleise, Schutzausrüstung (angeblich gibt es Gasmasken für die driller, die die Löcher für das Dynamit bohren, wir haben aber keine gesehen) sowie das Dynamit, selbst kaufen.
Da bietet sich es an, dass Touristen beim Besuch der Mienen und der Bergleute quasi als Gastgeschenk solche "Arbeitsmittel" mitbringen. Da Dynamit, Cocablätter und Alkohol leichter zu tragen sind als Gleise und Erzwagen, haben wir uns dafür entschieden. ;)
Da es in den Mienen ziemlich staubig zugeht und "normales" Essen nicht denkbar ist, ernähren sich die Mineros während der Arbeitszeit (diese kann bis zu 24h! pro Tag betragen) ausschließlich von gezuckerten Limonaden, 96% Alkohol und Cocablättern. Der Alkohol benebelt und die Cocablätter wirken aktivierend und machen das schwere Arbeiten in der Höhe, ohne viel Luft, und in der Hitze erträglicher.
96%iger Alkohol, Cocablätter und Dynamit, los geht's!
Um jetzt hier nicht das Vorurteil zu verbreiten die mineros wären alle Alkoholiker, muss das ein wenig erklärt werden. Der Alkohol hat auch eine sehr wichtige rituelle Funktion. Beim (puren) Trinken des Alkohols wird immer der Stöpsel angefüllt dann wird ca. die Hälfte auf den Boden geschüttet, um den Beistand und das Wohlwollen von pachamama (Mutter Erde) zu erbitten. Erst wenn alle Wünsche und Bitte ausgesprochen sind wird der Rest getrunken. Innerhalb der Minen dient das Ritual um die Gnade des tio herbei zu rufen, des Teufels der Miene (innerhalb der Minen gibt es keinen Gott, so die Theorie der mineros). Aber dazu später mehr.
Potosí ist dafür bekannt dass es hier weltweit den wahrscheinlich einzigen Markt gibt, wo jedermann jederzeit legal Dynamit (soviel er will) kaufen dann. Und das noch dazu ziemlich günstig. 20 Bolivianos (ca. 3 Euro) bezahlt man für eine Stange Dynamit, Zündschnur und Ammonium Nitrat (braucht man für die Zündung, Details bitte beim Chemiker eures Vertrauens erfragen).
Dynamit, Zündschnur und Ammonium Nitrat am Markt von Potosí kaufen
Unser Guide erklärt die Verwertung vom gewonnenen Erz
Silverpulver aus den Verwertungsanlage (80% Silber)
Dieses Silberpulver auf unseren Händen wird genauso in die Industriestaaten, hauptsächlich nach Europa und in die USA exportiert. Bolivien selbst hat kein Geld, um sich die teuren Schmelzanlagen und Hochöfen zu leisten, um hochreines Silber, Zinn oder Zink zu produzieren. Das bedeutet einerseits bekommt das Land relativ wenig für den Export des 80%igen Metallpulvers, muss aber andererseits wieder sehr viel für den Import der "fertigen" Rohstoffe Silber, Zinn und Zink zahlen.
Letzter Blick auf Potosí bevor es in die Minen geht
Einer der mehreren hundert Eingänge in den Berg
Und weil wir so frisch und motiviert dreingeschaut haben, durften ich und ein Kollege aus Australien gleich den beiden vorbeikommenden mineros helfen und ihren leeren (400 kg schweren, voll wiegen die Dinger 2.000 kg) Erzwagen zurück in die Minen schieben.
bei der Arbeit
in den wenigsten Teilen der Mine kann man so Aufrecht gehen, mit über 1,80m fast gar nie
Innerhalb des Berges gibt es etliche hundert Minen mit unterschiedlichen Gängen, Abkürzungen und Abbaugebieten. Jede Mine wird von unterschiedlichen Truppen bearbeitet. Die Mehrheit (70%) der 15.000 mineros sind einfache Bergleute oft nur in kleinen Gruppen, Wort wörtlich, auf eigene Faust mit Hammer und Meißl. Nur diejenigen die in sogenannten collectivos organisiert sind (30%) arbeiten in größeren Tuppen und können sich Luftdruckhammer und bessere Geräte leisten, müssen aber einen Teil des Gewinns an die collectivos abgeben.
Jede Mine hat eine eigene Kapelle innerhalb des Berges, und auch mindestens einen tio (Onkel).
tio
Der tio ist eine von den Bergleuten gebaute Skulptur in der Mine. Die mineros bitten den tio mit Opfergaben in Form von Zigaretten, Alkohol und Cocablättern um reiche Ausbeute, Gesundheit und Verschonung des Lebens. Wenn man bedenkt, dass hier in Potosí im Durchschnitt 14 mineros pro Monat in den Minen ihr Leben verlieren, erklärt sich dieser Opferkult wohl von selbst.
Wer genau hinsieht bemerkt den übergroßen Fallus des tio. Auch diesem wird rituell gehuldigt. Die Fähigkeit Nachwuchs zu produzieren war den mineros schon immer eine wichtige Angelegenheit. Die meisten mineros leiden an der sogenannten Staublunge und können, aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen oft nur bis 40 oder 45 Jahre arbeiten. Die Lebenserwartung der Bergleute in Potosí beträgt aktuell unter 50 Jahre. Da die finanzielle und medizinische Versorgung vom Staat sehr schlecht ist, liegt es an den Nachkommen sich um die Familie zu kümmern.
Nichts desto trotz war es eine sehr interessante und lehrreich Tour für uns. Die Guides und Bergleute die wir getroffen haben waren alle sehr freundlich und dankbar für unsere Geschenke. Um einen besseren Eindruck von "drinnen" zu bekommen gibts auch dazu ein kleines Video:
Anmerkungen Margret:
Diese Minen sind kein Ort um die Abenteuerlust und den Spaß von Touristen zu befriedigen, sondern sie sind die Arbeitsplätze von tausenden Männern und auch Kindern, die sich täglich unter gefährlichen Bedingungen ihr Geld zum Leben/Überleben sichern und dort auch regelmäßig mit dem Tod konfrontiert werden. Kinderarbeit ist normalerweise in Bolivien nicht erlaubt, aber in den Minen wird darüber hinweg gesehen. Aus diesem Grund habe ich mir auch sehr lange überlegt, ob ich in die Minen gehen möchte.
Die verschiedensten Rituale und Traditionen mit Bitten an Sicherheit in den Minen sind daher für mich gut nachvollziehbar. Den Alkohol, so habe ich es verstanden, trinken sie am ersten und letzten Freitag im Monat an den Orten, an denen die Statuen der tios stehen, um einerseits für Sicherheit, Reichtum und Gesundheit für das neue Monat zu bitten bzw. am Ende des Monats dafür zu danken. Wie Christian vorhin schon geschrieben hat, sterben durch die Arbeit in den Minen im Durchschnitt 14 mineros pro Monat, durchschnittlich davon 4 bei Unfällen und 10 durch die Berufskrankheit "Staublunge". Die Luft in den Minen ist extrem stickig, staubig und durch die Sprengungen entstehen verschiedenste Chemikalien, auch Asbest ist in den Minen heimisch.
Die Frage ist auch, wie lange der Berg noch Silber, Erz, etc. hergibt. Irgendwann wird alles ausgeschöpft sein und dann wird die Stadt wahrscheinlich aussterben, weil es sonst in Potosí wenig alternative Arbeitsplätze gibt.
LG aus Bolivien und bis bald!